Wissensmanagement im Entstehungsprozess eines selbstorganisierten Wohnprojekts
Teil 3 Vorhandenes Wissen (und andere Ressourcen) identifizieren
von Claudia Handl, Bielefeld (Stand: 08.02.2022)
Nachdem in Teil 2 der Wissensbedarf festgestellt wurde, geht es nun darum, das notwendige Wissen zu (be-) schaffen. Naheliegend ist, zunächst in den eigenen Reihen danach zu suchen.
Vorhandenes Fachwissen identifizieren
Wissen, das bereits vorhanden ist, spart Zeit und Geld, da es nicht erst zeitaufwendig aufgebaut oder kostenintensiv eingekauft werden muss.
In dieser Hinsicht ist vor allem Fachwissen relevant. Ohne Fachwissen lässt sich ein Wohnprojekt nicht entwickeln (1).
Die Wohnprojektelandschaft ist vielfältig und so sind auch die Voraussetzungen: Es gibt Wohnprojektinitiativen, bei denen schon zu Beginn viel Wissen verschiedener Fachgebiete vorhanden ist (2). Bei anderen ist das dagegen eher nicht der Fall (3). Es kommt auch vor, dass Wissen aus dem sozial-psychologisch-pädagogischen Bereich vorhanden, aus dem technisch-wirtschaftlich-juristischen Bereich dagegen nicht oder umgekehrt (4).
Das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von Fachwissen systematisch zu identifizieren, ermöglicht es, die Notwendigkeit eines internen Wissensaufbaus zu erkennen oder frühzeitig externe Dienstleistungen in Betracht zu ziehen. So werden zeitliche Umwege vermieden (5).
Die Entwicklung eines Wohnprojekts ist vor allem Arbeit. Dass die Arbeit getan wird, erfordert die arbeitsteilige Mitwirkung aller Gruppenmitglieder, was wiederum eine entsprechende Motivation voraussetzt.
Nach Eva Stützel kann sich eine Gemeinschaft konstruktiv entfalten, wenn die Menschen Aufgaben haben, „die zu ihnen passen, an denen sie sich ausleben können und an denen sie wachsen können.“(6).
Vor diesem Hintergrund wird hier vorgeschlagen, die Gelegenheit zu nutzen und nicht nur vorhandenes Fachwissen, sondern die relevanten Ressourcen insgesamt zu identifizieren. Diese beinhalten neben dem Fachwissen auch Erfahrungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, darüber hinaus aber z.B. auch Interessen, zeitliche Möglichkeiten und Erwartungen. Die Bandbreite relevanter Ressourcen ist sehr groß.
Methoden der Identifikation von Ressourcen
Wie lässt sich systematisch herausfinden, welche Ressourcen in der Gruppe vorhanden sind und inwieweit der Wunsch besteht, diese im Wohnprojekt einzusetzen?
Eine Methode ist ein schriftlicher Fragebogen. Die Gruppenmitglieder erhalten eine Liste von Fragen mit standardisierten und/oder offenen Antwortmöglichkeiten und arbeiten diese nach Selbsteinschätzung ab. Wenn ein solcher Fragebogen entwickelt ist, ist das eine grundsätzlich einfache und schnelle Methode.
Eine andere Möglichkeit ist ein qualitatives Interview. Es ist deutlich zeitaufwendiger als ein schriftlicher Fragebogen, hat aber für ein Wohnprojekt einige Vorteile:
- In einem Wohnprojekt geht es nicht um formale Qualifikationsnachweise. Es können sehr unterschiedliche Ressourcen relevant sein. In einem Interview können diese bewusst gemacht werden und sich dadurch ein Ressourcenschatz heben, der eine große Bereicherung für das Wohnprojekt darstellt.
- Zum Konzept eines Wohnprojekts gehört es häufig, sehr unterschiedliche Menschen anzusprechen. Dieser Diversität kann in einem Interview deutlich mehr Rechnung getragen werden als in einem schriftlichen Fragebogen.
- Mit einem Interview nimmt sich die Gruppe Zeit für das einzelne Gruppenmitglied und bringt eine Wertschätzung dessen zum Ausdruck, was das einzelne Gruppenmitglied zum Ganzen beitragen kann. Das kann sowohl die Verbundenheit zum Wohnprojekt als auch die Verbindlichkeit fördern.
Die Vorteile können noch verstärkt werden, wenn die Ergebnisse des Interviews nicht in einfachen Notizen, sondern in einer Mindmap, die hier Ressourcen-Landkarte (7) genannt werden soll, festgehalten werden. Mit der Sichtbarmachung der Ressourcen leistet das Interview einen Beitrag nicht nur zum Wissensmanagement, sondern zur Selbstorganisation des Wohnprojekts insgesamt.
Im Anhang zu diesem Artikel wird ein Konzept für ein Ressourcen-Interview einschließlich Ressourcen-Landkarte vorgeschlagen. Es ist noch nicht erprobt, kann und muss sicherlich noch weiterentwickelt werden und für das einzelne Wohnprojekt angepasst werden. Es liefert aber hoffentlich einige, auch konkretere, Anhaltspunkte, um was es geht.
Verwendung der Interview-Ergebnisse
Die Ergebnisse der Interviews sind in mehrerer Hinsicht wertvoll:
- Sie zeigen, inwieweit die Wissensbedarfe durch vorhandenes Wissen gedeckt werden können.
- Sie machen den interviewten Gruppenmitgliedern ihre Wichtigkeit für das Wohnprojekt bewusst und helfen ihnen, die passende Rolle im Wohnprojekt zu finden.
- Sie helfen, die Gruppenmitglieder und die Aufgabenbereiche im Sinne einer „konstruktiven Entfaltung“ zu „matchen“.
- Sie lassen Potenziale für das Konzept des Wohnprojekts entdecken, an die bisher nicht gedacht wurde.
Weiteres Vorgehen:
In vielen Fällen kann das vorhandene Wissen die Wissensbedarfe nur teilweise decken, mindestens muss es noch in den besonderen Kontext eines Wohnprojekts transferiert werden. Dieser Prozess erfordert wiederum spezielles Wissen über Wohnprojekte.
Auf welchen Grundlagen dieses spezielle Wissen entwickelt werden kann, soll Gegenstand von Teil 4 der Artikelreihe sein.
In einer Übersicht sind alle Teile der Artikelreihe verlinkt.
(1) vgl. z.B. Christine Müthrat, Beginenhof Köln eG in Lisa Frohn: Ab ins Wohnprojekt! Wohnprojekte werden Wirklichkeit. oekom 2018, S. 155; TransNIK-Werkstattbericht: Faktoren der Entstehung gemeinschaftlicher Wohnprojekte https://www.transnik.de/transnik-wAssets/docs/Fallstudienbericht_Wohnen_final_korr_Mai_2018.pdf, S. 59
(2) vgl. z.B. Annette Spellerberg u.a. Neue Wohnformen – gemeinschaftlich und genossenschaftlich. Erfolgsfaktoren im Entstehungsprozess gemeinschaftlichen Wohnens, Springer 2018, S. 47
(3) vgl. z.B. TransNIK, a.a.O., S. 59
(4) Lisa Frohn: Ab ins Wohnprojekt! Wohnprojekte werden Wirklichkeit. oekom 2018, S. 168
(5) vgl. z.B. TransNIK, a.a.O., S. 61
(6) Eva Stützel: Der Gemeinschaftskompass, oekom 2021, Zitat S. 211
(7) “Ressourcen-Landkarte” angelehnt an das Konzept der “Wissenslandkarte”, die im unternehmerischen und wissenschaftlichen Kontext für verschiedene Zwecke genutzt wird.