Leitfaden für Bielefelder Wohnprojekt-Initiativen

Liebe Interessent*innen am gemeinschaftlichen Wohnen,

ihr seid auf unserer Website hier gelandet und dies kann eigentlich nur eines bedeuten: ihr habt ernsthaftes Interesse ein Wohnprojekt zu starten bzw. euch einer Projektgruppe anzuschließen oder in ein bestehendes Wohnprojekt einzuziehen! Für euch haben wir diesen Leitfaden zusammengestellt.

Um euch Mut zu machen, ein solches Projekt anzugehen! Lasst euch nicht abschrecken von der Vielzahl der Themen, die wir beschreiben. Ein Wohnprojekt ist nun mal ein mehrdimensionales Unterfangen, aber es macht Spaß dort einzutauchen. Ihr lernt viel  und der Lohn winkt mit einem selbstbestimmten  angenehmen Wohnumfeld: sympathische Menschen, kostengünstiges und sicheres Wohnen sowie etliche  spannende und unterhaltende Zusammenkünfte und Veranstaltungen.

Unser Netzwerk hat in diesen Leitfaden alle Erfahrungen der bisher realisierten Bielefelder Wohnprojekte einfließen lassen. Wir haben versucht, möglichst nah an den in Bielefeld existierenden Rahmenbedingungen für gemeinschaftliche Wohnprojekte zu bleiben, denn ohne den regionalen Bezug kann kein Wohnprojekt entstehen.

Der Leitfaden ist nicht chronologisch aufgebaut. Ein Wohnprojekt startet natürlich irgendwann mit ein paar Menschen, die weitere Gestaltung ist aber ein Prozess, der immer wieder neu beginnt. Wie planen, bauen, wohnen? Immer wieder stellen sich diese Fragen im Leben eines Wohnprojekts auf andere Art und Weise.

Unsere Antworten haben wir in Bausteinen zusammengefasst, die je nach Bedarf genutzt werden können. Viele Links ergänzen unsere Texte und bieten weitergehende Informationen.

Wir freuen uns, wenn euch unsere Erfahrungen nutzen. Vielleicht gebt ihr in ein paar Jahren dann eure weiter…

Gemeinschaftlich wohnen, geht das und will ich das? Du hast Fernsehberichte gesehen, Presseartikel und Bücher gelesen, im Freund*innenkreis diskutiert, dich vielleicht beruflich mit dem Thema befasst oder bist sonst wie auf das Thema gestoßen.

Eine Gruppe braucht Kultur und Pflege

Du bist in dich gegangen, ob diese Idee wirklich etwas für dich ist (z.B. mit Hilfe eines Fragebogens zur Selbsteinschätzung), und hast beschlossen, dich erst einmal vor Ort umzuschauen, was es gibt.

Nun, du wohnst in Bielefeld! Hier hast du das Glück, dass du eine gewisse Infrastruktur des gemeinschaftlichen Wohnens nutzen kannst!

Ein erster Anlaufpunkt ist die Stadt Bielefeld. Alle drei Monate findet ein Interessiertentreffen statt. Hier kannst du Gleichgesinnte kennenlernen und über gemeinschaftliches Wohnen gemeinsam nachdenken. In der Regel kommen auch Mitglieder unseres Vereins zu diesen Treffen, die ihre Erfahrungen gerne weitergeben.

Auch, wenn du noch keine genauen Vorstellungen hast, welche Idee vom gemeinschaftlichen Wohnen die deine ist, sind diese Treffen ein weiterer Schritt zur Klarheit. Die Idee des gemeinsamen Wohnens entwickelt sich auch gemeinschaftlich!

Bielefelder Wohnprojekte stellen Räume!

Tue dich mit einigen dir sympathischen Menschen zusammen, die ähnlich denken, lernt euch bei diversen Unternehmungen kennen und überlegt gemeinsam weiter. Falls du bei diesen Treffen nicht fündig geworden bist, haben Kleinanzeigen oft eine große Wirkung…

Es ist geschafft! Ihr habt jetzt eine Kerngruppe, die ein Projekt in Angriff nehmen möchte. Ab diesem Zeitpunkt ist es ratsam, an einer ersten Gruppenkultur zu feilen. Wie gehen wir miteinander um, welche Arbeitsweise wollen wir pflegen, wie werden Entscheidungen getroffen? Die hier investierte Zeit zahlt sich später aus, da die Verständigung über diese Themen den für das gemeinschaftliche Planen und Bauen erforderlichen Beziehungsaufbau stärkt.

Im Projektverlauf ist es ratsam nach jedem Meilenstein, den das Projekt geschafft hat, die Gruppenkultur neu zu verhandeln. Meilensteine können sein: die Gruppe vergrößert sich, die Projektidee hat sich konkretisiert, das erste Konzept ist fertig, die Rechtsform für das Projekt ist gefunden, das Finanzierungskonzept steht, das Grundstück ist gefunden, die ersten Architekturpläne liegen vor, die Bauphase startet, die Wohnphase beginnt. Aber auch Rückschläge im Projektverlauf sind Meilensteine!

Wenn die Gruppe eine gewisse Größe erreicht hat, wird es notwendig sein, die Gruppentreffen aus den privaten Wohnungen in einen größeren Raum zu verlegen. In allen Bielefelder Wohnprojekten gibt es Gemeinschaftsräume, die gegen einen geringen Preis für die Treffen angemietet werden können. Entstehende Gruppen sind gern gesehene Gäste! Zudem wäre dies eine gute Gelegenheit, andere Wohnprojekte kennenzulernen und anzusehen.

Eure Gruppe hat eine erste Vorstellung über das Wohnprojekt entwickelt? Dies ist ein guter Zeitpunkt mit der Wohnprojektberatung der Stadt Bielefeld Kontakt aufzunehmen.

Hier bekommt ihr Informationen darüber, wo, wie und mit wem im Stadtgebiet ein Wohnprojekt angesiedelt werden könnte. Auch kann eure Gruppe in die auf der Bielefelder Website veröffentlichte Liste der geplanten Wohnprojekte aufgenommen werden.

Das Konzept ist einer der ersten Meilensteine im Leben eines Wohnprojekts. Die bis dato vorhandenen Wohnprojekt-Interessierten haben einander kennengelernt, sich über Gestaltungsmöglichkeiten von Wohnprojekten informiert und sich über Grundvoraussetzungen ihres Zusammenlebens und ihres künftigen Wohnens vorläufig verständigt.

Konzepte bieten Orientierung für Interessierte und Gesprächspartner

Bei der Konzeptentwicklung werden diese bisherigen Überlegungen in eine Form gebracht. Ziel ist, ein verbindliches Grundgerüst des künftigen Wohnprojekts gemeinsam zu erstellen.

Das Kurz-Konzept

Das erste Kurzkonzept muss noch nicht alle Aspekte der künftigen Lebensgemeinschaft enthalten. Wichtig sind eine Beschreibung der Grundlage des Zusammenlebens (ökologisch, spirituell, generationsübergreifend etc.), der angestrebten Wohnsituation (Miete, Eigentum, Genossenschaftsformen etc.), der Lage (Innenstadt, Randbezirk etc.), der Anzahl der Wohnungen und – wichtig bei selbst finanzierten Projekten -, der vorhandenen finanziellen Ressourcen.

Das Kurzkonzept dient als Gesprächsgrundlage für die Mitbewohner*innensuche, die ersten Gespräche mit Beratungsstellen, der Stadt Bielefeld und potenziellen Kooperationspartnern.

Das ausführliche Konzept

Je konkreter das Wohnprojekt wird, desto konkreter sollte auch das Konzept werden.

Auf unserer Website findet ihr ein mögliches Raster mit Aspekten, über die ihr euch Gedanken machen könnt.

Um Förderungen zu erhalten oder in vorhandene Bauprojekte einzusteigen, müssen unter Umständen einige Vorstellungen gestrichen oder andere neu aufgenommen werden. Das Konzept muss ggf. der neuen Situation angepasst werden. In der Stadt Bielefeld gibt es seit Ende 2021 eine Richtlinie zu Vergabekriterien für Wohnbaugrundstücke. Diese wurde im Rahmen der Baulandstrategie erarbeitet und soll künftig bei allen städtischen Vorhaben Anwendung finden.

Ihr werdet wahrscheinlich feststellen bzw. vielleicht schon die Erfahrung gemacht haben, dass der Start in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt von Aufbruchstimmung und Begeisterung geprägt ist. Die anschließend folgende Selbstorganisation ist dann jedoch eine große Herausforderung. Es zeigt sich sehr schnell, dass ein Wohnprojekt eine lernende Organisation ist: Angefangen von der Gruppenbildung über die Schaffung der geeigneten Rechtsform bis zur Begleitung der Bauphase sind komplexe Aufgaben und Fragstellungen zu bewältigen und es entwickelt sich sehr schnell umfangreiches Fach- und Erfahrungswissen.

Wissensmanagement bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Entwicklung des Wissens systematisch und vorausschauend erfolgt.  Das Wohnprojekt und seine Mitglieder sparen Zeit und Energie. Transparenz und Professionalität der Aktivitäten und Entscheidungen werden gefördert.

Was heißt das genauer? Was solltet ihr euch als ein entstehendes Wohnprojekt klar machen?

Wissensbedarf ermitteln

Ein erster Schritt ist, dass ihr euch Art und Umfang der Wissensbedarfe bewusst macht. Je komplexer das Konzept ist und je mehr Selbstorganisation sich das Wohnprojekt wünscht, desto mehr Wissen ist erforderlich.

Ressourcen entdecken

Ein nächster Schritt ist, dass ihr vorhandene (Wissens-) Ressourcen identifiziert und passend einsetzt. Nach Eva Stützel kann sich eine Gemeinschaft dann konstruktiv entfalten, wenn die Menschen Aufgaben haben, „die zu ihnen passen, an denen sie sich ausleben können und an denen sie wachsen können.“ Geeignete Verfahren sind z.B. Gespräche, Interviews und Fragebögen.

Gemeinsam schlauer werden

Der vorhandene Ressourcenschatz wird nicht alle eure Wissensbedarfe decken können, insbesondere nicht, soweit es sich um ganz spezielles Wohnprojekte-Wissen handelt. Aber das macht erstmal nichts, denn es gibt in den Medien aller Art umfangreiche Sammlungen von Wissen zum Thema Wohnprojekte. Auf dieser Basis kann in einem weiteren Schritt das interne Wissen weiterentwickelt werden.

Expertenwissen in Anspruch nehmen

Es ist normal, dass sich die Gruppe nicht das gesamte erforderliche Wissen aneignen kann. Meist ist es ratsam, in einem ergänzenden Schritt auch externe Beratung zu beauftragen. Je früher ihr das erkennt, desto geringer ist die Gefahr, dass die Gruppenmitglieder an den Rand einer Überforderung geraten und dadurch das Wohnprojekt gefährdet wird. Natürlich ist es immer auch ein Abwägen von Kosten und Nutzen.

Gemeinschaftlich wissen

Nach und nach entwickelt ihr immer mehr Wissen, sowohl Fach- und Erfahrungswissen als auch Wissen über euer eigenes Wohnprojekt: Was ist euer Konzept? Welche Rechtsform habt wir gewählt und warum? Wann habt ihr was entschieden? Welche AGs habt ihr gebildet? Welche Verträge habt ihr abgeschlossen? Damit Transparenz und Aktualität sichergestellt werden und keine Wissenshierarchie entsteht, kann dieses Wissen in geordneter Weise gespeichert und für alle Mitglieder des Wohnprojekts gleichermaßen zugänglich gemacht werden. Hierfür bieten sich insbesondere digitale Tools an.

Wissen weitergeben

Das entstehende Wissen kann nicht nur innerhalb des eigenen Wohnprojekts, sondern auch mit anderen Wohnprojekten geteilt bzw. ausgetauscht werden. So geht der riesige Erfahrungsschatz nicht verloren und kommt anderen zugute, denn nicht zuletzt sind Wohnprojekte auch Demokratieprojekte.

Die Wohnprojekte in Bielefeld teilen ihr Wissen u.a. über das Netzwerk, sowohl in regelmäßigen Treffen oder im persönlichen Austausch als auch über diese Website, z.B. auf der Seite Netzwerkwissen.

Vermutlich habt ihr euch schon während der Entwicklung der ersten Konzeptideen Fragen zur Rechtsform und Finanzierung des Wohnprojekts gestellt.

Einerseits wird sehr schnell klar, dass es keine Blaupause gibt. Andererseits zeigt sich aber auch, dass die rechtlichen Vorschriften und unterschiedlichsten Wege der Finanzierung viel Gestaltungsraum bieten, auch kreative und innovative Wohnprojektkonzepte in eine passende rechtliche und finanzielle Struktur zu packen.

Passende Rechtform finden

Mögliche Rechtsformen können zunächst mit ihren allgemeinen Eigenschaften gegenübergestellt werden. Entsprechende Übersichten sind gut und hilfreich.  Besonders wichtig ist es aber, die alternativen Rechtsformen anhand der konkret gewünschten Vorstellungen des jeweiligen Wohnprojekts zu vergleichen. Diese können z.B. sein:

  • Wollt ihr Eigentum erwerben? Soll es sich um individuelles oder um gemeinschaftliches Eigentum handeln? Welche Rechtsformen lassen das jeweils zu?
  • Wollt ihr zur Miete wohnen? Welche Rechtsform eignet sich besonders, die Bezahlbarkeit der Miete sicherzustellen?
  • Wie wichtig ist es euch, auch bei einem Nutzerwechsel Einfluss darauf zu haben, wer nachfolgt? Welche Rechtsform ermöglicht das besonders gut?
  • Wie wichtig ist euch ein solidarisches Miteinander? Welche Rechtsformen bieten sich hierfür an?
  • Wie selbstorganisiert wollt ihr sein? Ist hier jede Rechtsform geeignet?

Die selbstorganisierten gemeinschaftlichen Wohnprojekte in Bielefeld haben sehr unterschiedliche Rechtsformen, teilweise auch mehrere Rechtsformen für unterschiedliche Aufgabenbereiche. In der Beschreibung der Wohnprojekte auf der Website des Bielefelder Netzwerks finden sich dazu konkrete Informationen.

Bei der Finanzierung bedenken

Auch bei Fragen der Finanzierung spielen die jeweiligen Wohnprojektmerkmale bzw. -ziele eine entscheidende Rolle, z.B.

  • Wie ist eure Gruppe zusammengesetzt? Welche finanziellen Kapazitäten habt ihr bzw. jede*r einzelne von euch? Braucht ihr eine*n Finanzwächter*in?
  • Wie hoch soll der Gebäudestandard sein, welche Ausstattung wollt ihr? Was ist finanzierbar?
  • Nach welchen Kriterien wollt ihr die Kosten verteilen, wünscht ihr euch solidarische Bestandteile im Finanzierungskonzept?
  • Gibt es außerhalb eurer Gruppe einen Unterstützerkreis, der z.B. private Darlehen vergibt?
  • Erfüllen alle oder einzelne Gruppenmitglieder die Voraussetzungen für bestimmte Fördergelder (z.B. öffentlich geförderter Wohnungsbau, KFW-Darlehen für Familien)?
  • Enthält euer Konzept Merkmale, die eine besondere Förderung ermöglichen (z.B. Klimaschutz, Pflegeleistungen)?
  • Wie machbar ist für euch die Erbringung von Eigenleistungen und wie wirkt sich das finanziell aus?

Wichtige Empfehlungen aus der Sicht eines Architekten im Zusammenhang mit der aktuellen Kosten- und Finanzierungssituation eines Wohnprojekts in Bielefeld sind in einem entsprechenden Auszug aus einem Interview mit Klaus Beck zu finden.

Wie geht es weiter?

Sind erste Vorstellungen von Rechtsform und Finanzierung entwickelt, sollte für die konkrete Umsetzung fachliche Beratung in Anspruch genommen werden. Je besser diese vorbereitet ist, z.B. durch eigenes Wissen der Gruppe, umso zielführender wird diese Beratung ausfallen.

Wenn eure Rechtsform(en) entstanden und ein grundlegendes Finanzierungskonzept entwickelt sind, habt ihr einen entscheidenden Meilenstein erreicht. Wahrscheinlich habt ihr sehr viel Zeit, Energie und vielleicht auch Geld investiert und alle sind hoffentlich mit dem Ergebnis zufrieden.

Die Themen an sich werden das Wohnprojekt auch weiterhin beschäftigen. Für alle Phasen des Wohnprojekts gilt “Auch Geld spielt mit“.  Mit der Gründung einer Rechtsform sind laufende Verpflichtungen verbunden. Manchmal sind auch Anpassungen der Rechtsform erforderlich. Das Finanzierungskonzept ist umzusetzen, immer wieder tauchen neue Fragen auf. Die finanzielle Dimension dieser Fragen wird in der Wohnphase kleiner, aber nicht immer auch der Diskussionsbedarf und das Konfliktpotential.

In unserer Materialsammlung finden sich weiterführende Materialien zum Thema “Rechtsform und Finanzierung”.

Die Kerngruppe des Wohnprojekts steht, die Eckpfeiler des Vorhabens sind im Kurzkonzept festgehalten und nun werden Mitstreiter*innen gesucht. In dieser Phase ist es eine Pflicht, die Idee immer wieder im Freund*innen- und Bekanntenkreis zu verbreiten.

Dann könnt ihr euch bei der Stadt Bielefeld als neue Wohnprojektinitiative registrieren lassen und darum bitten, dass über den dort vorhandenen Interessent*innen-Verteiler auf eure Initiative hingewiesen wird. Ebenso empfiehlt es sich, die vierteljährlichen Interessent*innentreffen zu besuchen und neue Mitglieder zu werben. Außerdem solltet ihr eine eigene Website und vielleicht einen Facebook-Account erstellen. So könnt ihr leichter gefunden werden. Falls euer Vorhaben sehr innovativ ist, könnt ihr auch versuchen mit einem Artikel in die regionale Presse – die Neue Westfälische oder das Westfalenblatt – zu kommen. Ferner eignen sich auch die zentralen Meilensteine im Entstehen eines Wohnprojekts – die Gründung einer Rechtsform, das Finden eines Kooperationspartners oder eines Grundstücks – hervorragend, um den Mitstreiter*innenkreis zu vergrößern.

Dann solltet ihr jede Gelegenheit nutzen bei öffentlichen Events wie Flohmärkten, Stadtteilfesten oder Projektebörsen mit einem Stand dabei zu sein.

Gestaltet die Kennenlernphase so unverbindlich wie möglich. So können beide Seiten relativ entspannt wieder auseinandergehen, wenn es nicht „funktioniert“. Denn es muss vieles zusammenpassen, damit Menschen bereit sind, sich dauerhaft aufeinander einlassen. Vielleicht gibt es zu einem späteren Zeitpunkt, unter anderen Vorzeichen, ein Wiedersehen mit den ehemaligen Interessent*innen.

Ihr denkt vermutlich: Warum sollten wir uns mit unserer Projektidee an „die Öffentlichkeit“ wenden? Wir haben doch genug mit uns selbst zu tun! Doch: Ein Wohnprojekt entsteht ja nicht in einem luftleeren Raum. Und eine stabile, engagierte Gruppe ist nicht von vornherein da. Auf unterschiedlichen Ebenen benötigen wir gute Kontakte, Unterstützer*innen, Fürsprecher, Kooperationspartner*innen.

Außerdem meint „Öffentlichkeitsarbeit gestalten“ im Zusammenhang mit selbstorganisierten Wohnprojekten die bewusste Entscheidung, in das Quartier, in die Kommune, in die Politik hinein zu agieren. Das ist ja auch immer die Intention: wir wollen gesehen werden, wir werben für unsere selbst gewählte und organisierte Wohnform, wir werben für das Miteinander im Quartier, in der Stadt.

Der Kontakt zu Kommune und Kooperationspartner*innen

Auf der Ebene der Kommune wünschen wir uns, dass uns Politik und Verwaltung wahrnehmen. Wir werben für unsere Konzepte, weil wir davon überzeugt sind, dass sie nicht nur uns Bewohner*innen guttun, sondern auch das Quartier aufwerten und lebenswert machen.

Wir brauchen Politik und Verwaltung, wir brauchen Wohnungsbaugenossenschaften, Architekten, Investoren, Baugesellschaften usw. als Kooperationspartner*innen. Wir brauchen sie besonders schon in einer frühen Phase: ohne Grundstück gibt es kein Wohnprojekt. Also machen wir Werbung für uns: guckt mal, was ihr kriegt, wenn wir kommen!

Der Kontakt zu potenziellen und neuen Nachbar*innen

Und in der Initiativ- und Planungsphase kommt mindestens die Ebene hinzu: Wer will mitmachen? Wer mag mit uns gemeinsam an einer neuen Wohnform arbeiten, wer will mit uns dann zusammenziehen?

Und wenn es uns irgendwann als Wohnprojekt in einem Stadtteil gibt, wünschen wir uns sehr konkret: Kommt zu uns, macht mit, nehmt teil an Veranstaltungen in unserem Haus, auf dem Quartiersplatz. Fragt uns aus. Erzählt uns, was ihr von uns haltet. Was können wir besser machen? Und erzählt es weiter.

Das Wohnprojekt stattVilla in der Innenstadt hatte eine lange Projektphase vor dem Einzug 2011. Die Bewohner*innen haben viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht, haben sehr unterschiedliche Medien genutzt wie Postkarten, Flyer, Website, Zeitungsartikel, Infostände und Infoveranstaltungen, Fahrten zu anderen Wohnprojekten usw. Ihre Erfahrungen findet man auf der Website des Bielefelder Netzwerks unter Erfahrungen A-Z, Stichwort Öffentlichkeitsarbeit.

Und nicht zuletzt: Wartet nicht zu lange, mit dem Netzwerk selbstorganisierter Wohnprojekte Bielefeld Kontakt aufzunehmen. Gut durchdachtes „Netzwerken“ ist bei dem sehr komplexen Thema (Gründung und Realisierung eines Wohnprojekts) das A und O.

Es ist geschafft! Ihr habt eine Gruppe und euer Kurzkonzept steht. Nun beginnt die Suche nach einem konkreten Grundstück und nach potenziellen Baupartnern: Architekten, öffentliche oder private Wohnungsbauunternehmen, Bauprojektierer*innen, Genossenschaften und Kapitalgeber. Auch hier gilt: die Wahl der Baupartner*innen hängt ganz eng mit eurer Idee des Wohnprojekts zusammen. Seid ihr mit eurem Projekt z.B. am Gemeinwohl orientiert, so werdet ihr eher Partner*innen aus diesem Bereich suchen.

Grundstückssuche professionell angehen

Hier findet ihr eine Liste von Bau- und Finanzpartner*innen, mit denen die realisierten Bielefelder Wohnprojekte zusammengearbeitet und gute Erfahrungen gemacht haben.

Es empfiehlt sich, zunächst einen oder mehrere der infrage kommenden Baupartner*innen anzusprechen. Diese verfügen in der Regel über Kenntnisse über bestehende (eigene) oder kommende Planungen. Herzlich willkommen werdet ihr sein, wenn ihr schon ein Grundstück mitbringt auf dem gebaut werden kann. Wie kommt ihr aber zu einem solchen? Zurzeit ist dies wohl die schwierigste Aufgabe für alle Wohnungsmarktakteure in Bielefeld! Da seid ihr nicht alleine.

Professionelle Projektentwickler*innen suchen sich Grundstücke, klären die Möglichkeiten einer Bebauung und die Eigentumsverhältnisse. Sie sprechen Eigentümer*innen aktiv an und stellen Bauvoranfragen. Das könnt ihr auch!

Auf der Internetseite der Stadt Bielefeld bekommt ihr Zugang zu Bebauungsplänen, Flächennutzungsplänen, Gebietssatzungen und öffentlichen Bekanntmachungen. So könnt ihr herausbekommen, ob in dem Gebiet in dem euer Projekt gebaut werden soll, ein gültiger Bebauungsplan vorliegt oder ob Planungen beabsichtigt sind. Auskünfte über bestimmte Liegenschaften (Größe, Lage, Eigentümer*in) könnt ihr über die Katasterauskunft der Stadt Bielefeld bestellen. Hier kann jede Bürger*in der Stadt Bielefeld einen Auszug aus der Liegenschaftskarte erhalten. Zusätzlich könnt ihr euch auch über die aktuellen Bodenrichtwerte informieren, also die Preise pro qm, die in den einzelnen Bielefelder Stadtteilen üblich sind. Zum Verkauf stehende städtische Grundstücke findet ihr über den Immobilienservice der Stadt Bielefeld. Auch über die Baulandstrategie der Stadt Bielefeld werden künftig Baugebiete entwickelt werden. Ansprechpartner ist hier Matthias Brakensiek (Tel.: 0521/515491 / E-Mail: matthias.brakensiek@bielefeld.de).

Auch könnt ihr die interaktive Karte für Baulücken und Leerstand des Vereins pro grün besuchen, um Grundstücke sowie nicht genutzten Wohnraum in Bielefeld aufzuspüren. Nicht zuletzt solltet ihr Augen und Ohren offenhalten, wenn in den Medien über den geplanten Verkauf oder Bau von Immobilien oder Grundstücken berichtet wird. Habt keine Scheu da dann einfach mal anzufragen, ob dort nicht auch ein Wohnprojekt möglich wäre.

Standortanalyse durchführen

Es ist geschafft. Ihr habt ein Grundstück oder ein Objekt im Visier. Das heißt dann aber noch nicht, dass ihr am Ziel seid. Bevor ihr euch festlegt, sollte eine fachliche Standortanalyse durchgeführt werden. Gibt es einen Bebauungsplan für das Areal? Wurde ein städtebaulicher Wettbewerb durchgeführt? Wenn ja, welche Vorschriften gelten für das Gebäude – zulässige Stockwerkhöhe, Art des Dachs, bebauungsfähige Fläche, Gestaltung des Außenbereichs, Lärmschutzvorgaben, Altlasten, zeitliche Verfügbarkeit über das Grundstück, Infrastruktur und Nachbarschaft. All diese Faktoren beeinflussen die Gestaltung des Baukörpers sowie das grundlegende Konzept des Wohnprojekts. Jetzt wäre ein günstiger Zeitpunkt, um entsprechende Fachleute mit ins Boot zu holen. Diese können am besten beurteilen, ob das Grundstück baulich für euer Projekt geeignet ist. Und vergesst nicht: Eine Standortanalyse muss auch bezahlt werden!

Habt ihr bereits Kontakte mit Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften geknüpft, verfügen diese in der Regel über die entsprechenden Fachleute. Ansonsten könnt ihr freie Architekturbüros beauftragen. Wie eine solche Kooperation aus der Sicht eines Architekten gelingt, könnt ihr in einem Auszug aus einem Interview mit Klaus Beck lesen.

Bei der architektonischen Gestaltung eures Projekts solltet ihr euch fragen “Was bringt Menschen zusammen?” Überlegungen dazu solltet ihr im Idealfall zusammen mit der Architekt*in anstellen. Bewährt haben sich z. B. ein Grundriss in U-Form – ermöglicht einen schönen Innenhof –  und innen liegende Laubengänge – zu bewundern im Bielefelder Wohnprojekt Quartier Ost! Dann sind natürlich ein zentral gelegener Gruppenraum und multifunktionale Außenflächen, z.B. für gemeinschaftliche Aktivitäten unverzichtbar. Das Erfahrungswissen der bestehenden Bielefelder Projekte hilft hier bestimmt weiter.

Dann solltet ihr euch fragen: wie viel Platz brauche ich wirklich? Könnten die gemeinschaftlich zu nutzenden Räume wie Gästezimmer, Gemeinschaftsraum etc. meinen persönlichen Raumbedarf nicht minimieren? Dies spart Kosten und ist nachhaltig. Denkt mal darüber nach!

Eine Leitlinie für eure Wohnungen sollte sein: Nachnutzungschancen gehen vor Individualität. Das bedeutet eine klare Absage an zu ausgefallene Grundrisse und Sonderwünsche in der Ausstattung.

Nachnutzungschancen im Blick behalten

Dies ist, gerade wenn ihr auch Eigentum bilden wollt, nicht immer ganz leicht zu vermitteln und birgt Sprengstoff für etliche Gruppensitzungen. Insgesamt sollte der Baukörper eine robuste, möglichst einheitliche Struktur haben – z.B. sollten die Badezimmer übereinander liegen. Dann ist es empfehlenswert, dass ihr die menschlichen Lebenszyklen beachtet, denen auch eure Gruppe unterliegt. Die junge Familie mit Kindern, die beim Einzug viel Raum braucht, entwickelt sich nach zwanzig Jahren zum Ehepaar mit weniger Raumbedarf. Ist es dann z.B. über flexible Wände möglich die Wohnung zu verkleinern und wie kann der freiwerdende Raum genutzt werden? Auch, wenn ihr alle beim Einzug noch jung und rüstig seid, Barrierefreiheit in eurem Wohnhaus ist ein riesengroßer Vorteil für spätere Zeiten, bietet aber auch für junge Familien etliche Vorteile und lockt diese ins Projekt. Dabei ist es nicht notwendig alle Möglichkeiten von Barrierefreiheit bis in kleinste Detail zu erfüllen. Ausreichende Bewegungsfreiheit in den Wohnungen, im Gebäude und um das Gebäude herum, sind schon gute Anfänge.

Und vergesst nicht: Architektur ist Baukunst. Architekt*innen sind Baukünstler*innen. Sie können das Einerlei des Geschosswohnungsbaus kreativ verändern – sogar unter den manchmal sehr engen Vorgaben des sozialen Wohnungsbaus! Und wir – die zukünftigen Bewohner*innen – können darüber mit ihnen ins Gespräch kommen.

Ihr werdet euch fragen: Warum eigentlich gibt es an dieser Stelle einen eigenen „Baustein“ zum Thema „Verhandlungen führen“? Nun, die Projektgruppe ist ja von Anfang an und dann über die gesamte Zeit bis zum Einzug und darüber hinaus im Kontakt mit externen Partnern: Architekten, Handwerksbetriebe, Banken, Finanzberater, Juristen, Planer, Landschaftsarchitekten, Vertreter*innen der Kommune, der Politik, Mitarbeiter*innen der Verwaltung, von Ämtern usw. Dies sind Personen bzw. Institutionen, die in der Regel eine erhebliche Bedeutung haben für den Fortschritt und letztlich für die Realisierung des Projekts. Und häufig gibt es in Gesprächen „entscheidende“ Situationen, die für die Projektvertreter*innen positiv oder eher negativ ausgehen können. „Verhandlungsgeschick“ ist dafür nur ein recht allgemeiner Begriff. Der Rat aus vielen Jahren Projektmanagement: Macht euch vorab Gedanken über diverse Faktoren, die das Ergebnis von Gesprächen beeinflussen.

Das A und O: eine gute Vorbereitung

An erster Stelle ist eine gute fachliche Vorbereitung eines Gesprächs zu nennen. Damit ist nicht vertieftes Spezialwissen gemeint, sondern ein Verständnis der fachlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen. Macht euch Gedanken über die absehbaren kritischen Punkte. Das können z.B. im Fall von Gesprächen mit einer Architektin über Wärmedämmung von Fenstern und Wänden die Abhängigkeit von Wärmestandards sein sowie von entsprechenden Investitions- und zukünftigen Energiekosten. Bei einer Verhandlung über Bankkredite ist es z.B. die genaue Festlegung von „Schmerzgrenzen“. – Hilfreich für eine gute Vorbereitung sind häufig auch Gespräche mit den realisierten Wohnprojekten.

Langfristiges Ziel: Wertschätzung entwickeln

Nun geht es nie nur um fachliches Wissen. Ein sicheres und selbstbewusstes Auftreten – nicht zu verwechseln mit „Besserwisserei“ – erhöht die Chance für Verhandlungen auf Augenhöhe. Insofern sollte die Gruppe im Vorfeld gut überlegen, wer für ein geplantes (Verhandlungs-) Gespräch sowohl hinsichtlich fachlicher Qualifikation als auch hinsichtlich eines guten „Standings“ geeignet ist.

Im Miteinander geht es um gegenseitige Wertschätzung, letztlich um Respekt. Und mittelfristig geht es darum, Vertrauen aufzubauen. Das gelingt am ehesten mit Verbindlichkeit, mit gegenseitiger Verlässlichkeit. Dazu gehört dann auch, dass die externen Partner mit einer festen Gruppe und nicht mit immer wieder wechselnden Personen zu tun haben. Unter der Voraussetzung einer mittel- oder gar langfristigen Zusammenarbeit, z.B. einer Baugruppe mit einer Wohnungsbaugesellschaft, kann sich dann ein förderlicher „Spirit“ entwickeln. Dann können sich auch externe Partner als lernende Gruppe verstehen, die für eine Planungsbeteiligung der Gruppe offen sind und Respekt entwickeln. Unter solchen Voraussetzungen entsteht möglicherweise auf beiden Seiten eine innere Haltung mit der Bereitschaft, Risiken einzugehen, Neues zu wagen und – nie gänzlich zu vermeidende – Pannen gut wegzustecken.

Nachdem ihr im Rahmen der Konzeptentwicklung wesentliche Grundsatzentscheidungen getroffen und vielleicht auch schon Vertragsverhandlungen geführt habt, stehen nun Vertragsabschlüsse an. Verträge können sich sowohl auf das interne Verhältnis der Mitglieder im Wohnprojekt als auch auf das Verhältnis des Wohnprojekts zu externen Partnern beziehen. Verträge regeln die Rechte und Pflichten zwischen den jeweiligen Vertragspartnern.

Ein Wohnprojekt braucht Verträge

Verträge halten fest, worauf sich die Beteiligten geeinigt haben. Sie erfordern, auch über Detailfragen und auch über Dinge, von denen alle hoffen, dass sie nicht eintreten werden, nachzudenken. Am wichtigsten aber erscheint die Verbindlichkeit, die durch einen Vertrag geschaffen wird. Sie trägt zur Vertrauensbildung zwischen den Vertragspartnern bei: sie „vertragen“ sich.

Es kommen sehr unterschiedliche Verträge vor

Art und Umfang der abzuschließenden Verträge hängen ganz wesentlich von eurem Konzept ab, z.B.: Trägerschaft, Rechtsform (en), Finanzierung, Grundstück und Gebäude, Eigentumsverhältnisse, Inanspruchnahme externer Beratungen, Selbstverpflichtungen.

Entsprechend können z.B. folgende Verträge vorkommen:

  • Gesellschaftsrechtliche Verträge (für die gewählten Rechtsformen)
  • Kooperationsverträge (z.B. bei externer Trägerschaft)
  • Dienstleistungsverträge (mit Beratern)
  • Grundstückskaufverträge
  • Bauverträge (bei Neubauten)
  • Mietverträge (Wohnungen, Gemeinschaftsraum)
  • Kreditverträge
  • Versicherungsverträge
  • Verträge über Selbstverpflichtungen innerhalb des Wohnprojekts (z.B. Verhalten bei Konflikten)

Die Verträge entstehen in mehreren Schritten

Vertragsfreiheit

Grundsätzlich gilt Vertragsfreiheit, d.h. auch besondere und innovative Merkmale und Wünsche eines Wohnprojekts können Eingang in die Verträge finden, vorausgesetzt die Vertragsparteien einigen sich entsprechend. Andersherum bedeutet das aber, dass es nur in einem begrenzten Umfang vertragliche Standardlösungen für Wohnprojekte gibt.

Fachliche Beratung

Wie bei vielen anderen Aspekten eines Wohnprojekts ist es sinnvoll, sich mit bereits realisierten Wohnprojekten auszutauschen, insb. mit solchen, die ein vergleichbares Konzept haben. In der Beschreibung der Wohnprojekte auf der Website des Bielefelder Netzwerks finden sich dazu konkrete Informationen.

Darüber hinaus ist es für die meisten Vertragsarten sinnvoll und notwendig, sich juristischen Rat zu holen. Gut ist es, wenn die Berater*innen Erfahrung mit Wohnprojekten haben.

Vertragsverhandlungen und -entwürfe

Was ihr bei den Vertragsverhandlungen bedenken solltet, haben wir euch bereits im Baustein 9 dargelegt.

Je nach Organisation der Entscheidungsprozesse und -zuständigkeiten in eurem Wohnprojekt werden erzielte (Zwischen-) Ergebnisse von der für die Vertragsverhandlungen zuständigen Arbeitsgruppe dem Plenum zur Diskussion/Beschlussfassung vorgelegt.

Abschließende Entscheidung und Unterschrift

Die rechtliche Verantwortung für die Einhaltung der Verträge tragen grundsätzlich die geschäftsführungs- bzw. vertretungsberechtigten Organe des Wohnprojekts. Die besondere Interessenlage, die sich dadurch für sie ergibt, sollte sowohl von der zuständigen Arbeitsgruppe als auch vom Plenum berücksichtigt werden. So ist gewährleistet, dass die vertretungsberechtigten Personen mit einem guten Gefühl die Verträge unterschreiben.

In unserer Materialsammlung finden sich weiterführende Materialien zum Thema “Verträge”.

Mit Beginn der Bauphase erhöht sich die Pulsschlag noch mal bei allen, die an der Planung beteiligt waren und nun erleben, dass der Traum eines selbstorganisierten Wohnprojekts in die Realisierungsphase übergeht. Nach unzähligen Planungssitzungen, nach Verzögerungen, teilweise nach herben Rückschlägen, nach einer Achterbahnfahrt der Gefühle gibt es nun tatsächlich den ersten Spatenstich. Vielleicht wird sogar ein Grundstein gesetzt. Meist wird dieser Tag gefeiert. Dieser Tag markiert tatsächlich einen großen, wenn nicht den wichtigsten Meilenstein im Prozess.

Dringend nötig: Flexibilität bei allen Beteiligten

In der Regel geht nun nicht alles seinen ruhigen Gang, sondern es beginnt auch eine Zeit des Auf und Ab: An manchen Tagen, in manchen Wochen läuft alles „wie geschmiert“, ruck-zuck stehen die Kellerwände und wird die erste Bodenplatte gegossen. An anderen Tagen ruht die Baustelle oder man trifft nur zwei oder drei Bauleute an. Und aufmerksame Beobachter entdecken die ersten Fehler… Die Baugruppe muss sich immer wieder zusammensetzen und kurzfristige Entscheidungen treffen, nicht selten unter erheblichem Zeitdruck. Da offenbaren sich unvorhergesehene Kosten mit der Folge, dass entschieden werden muss: wie werden diese auf die zukünftigen Bewohner*innen verteilt? Da sind die vorgesehenen Wohnungstüren nicht lieferbar – für welche Alternativen soll man sich entscheiden? Da wünscht sich eine Familie einen veränderten Wohnungsgrundriss, der Auswirkungen auf die Planung der darunterliegenden Wohnung hat.

Die Übersicht behalten

Eine Investition, die möglicherweise enormen Ärger und auch Kosten vermeiden helfen kann, ist das Engagieren eines/einer Bausachverständigen. Insbesondere der Ärger untereinander kann erheblich vermindert werden, weil es eine quasi unabhängige fachliche Instanz gibt. Siehe hierzu den Text unter „Erfahrungen von A bis Z“: Stichwort Bausachverständiger.

Um die Übersicht zu behalten, hat die systematisch Dokumentation von Beschlüssen eine große Bedeutung. Schlage nach unter Dokumentation/Bautagebuch .

Und sehr wichtig: Wo wird Kosten mindernde Eigenarbeit vorgesehen, wer ist wann und in welchem Umfang in der Lage, selbst Hand anzulegen? (Wie) wird diese gewürdigt? Erfahrungen findet ihr unter dem Stichwort Eigenarbeit.

Auch zum Thema „Gemeinschaftsräume“ verweisen wir hier auf den erwähnten Text, der die konkreten Erfahrungen einer Projektgruppe widerspiegelt: Stichwort Raumangebot.

Quer zu den oben genannten Themen geht es praktisch immer auch noch in der Bauphase um die Aufnahme neuer Mitglieder. Ein Bielefelder Projekt hat sich dazu ein Konzept überlegt. Es nennt sich MiReDa („Mitmachen – Reinwachsen – Dazugehören“) und entwickelte sich zu einem Erfolgsmodell. Dieser Prozess erhöhte die Chancen für eine gute Integration neuer Mitglieder und steigerte damit die Chancen für eine „gute gemeinsame Zukunft“ im Projekt.

Der Umzug ist geschafft, der Traum ist Realität geworden. Und gleichzeitig ist die Erschöpfung selten so groß wie gerade jetzt. Aber die Euphorie des Endspurts hält noch eine Weile an und trägt über die Anfangszeit, in der noch viel improvisiert werden muss.

Gemeinschaftliches Leben braucht Zeit

Wir aus den realisierten Projekten haben es erlebt! Innerhalb des ersten Jahres setzt eine gewisse Müdigkeit ein. Die Ausstattung der eigenen Wohnung und das individuelle Einleben ins neue Zuhause nimmt mehr Zeit ein als gedacht. Die Berufstätigen unter uns merken schnell: nach einem langen Arbeitstag sinkt der Wunsch nach Gemeinschaft rapide. Das Bedürfnis nach Rückzug greift Raum, die ersten Wohnkonflikte stören die Hochstimmung der Bauphase, die Kompromissbereitschaft sinkt, der Alltag fordert seinen Tribut. Wenn ihr jetzt beginnt an eurer Gemeinschaftsfähigkeit zu zweifeln, können wir euch beruhigen: alles ist ganz normal! Mit der Zeit balanciert sich der Wunsch nach Privatheit und Gemeinschaft wieder aus und ihr entdeckt die Vorzüge des Gemeinschaftslebens.

Wenn ihr diese Prozesse rechtzeitig im Blick habt und euch persönlich darauf vorbereitet – Verständnis und Toleranz sind hier die Schlüsselstrategien – und auch in der Gruppe entsprechende Vereinbarungen und Regelungen trefft, ist die Gefahr der zermürbenden Routine nicht mehr so groß. Und ihr solltet nicht vergessen, immer mal wieder innezuhalten, die Situation zu reflektieren und schließlich auch ausreichend für schöne Momente zu sorgen (Feste feiern!).

Wir von den realisierten Wohnprojekten haben unsere Erfahrungen von A-Z notiert, um euch den Start ins Gemeinschaftsleben zu erleichtern. Unsere gemeinsame Grunderfahrung: das Wohnprojektleben ist ein ständiger Entwicklungsprozess und überrascht immer wieder mit neuen Möglichkeiten für die Gruppe und für euch persönlich.

Feste und Feiern ist ein Stichwort, das in keinem Wohnprojekt fehlen darf.

Mit einer guten Hausordnung wird das Potential möglicher Konflikte erheblich reduziert. Aber wie weit sollen die Regelungen gehen?

„Konflikte sind normal, anstrengend und langwierig, eine belastende Alltäglichkeit. Das wissen wir, aber damit rechnen wir nicht. Darum werden wir von ihnen meistens überrascht…“. So beginnt der Beitrag einer Mitbewohnerin der stattVilla – und der weitere Text ist sehr hilfreich, denn er zeigt in knappen Sätzen auf, welche Mittel und Möglichkeiten es gibt, Eskalation oder Rückzug zu vermeiden. Der Beitrag endet mit dem Satz: „Wir lernen“. Darin enthalten ist das positive Potential von Konflikten.

In einem Mehrgenerationenprojekt steht das Thema Familien mit Kindern naturgemäß ganz oben auf der Agenda. Da ergibt sich das unterstützende Miteinander fast von selbst. Vorab bedenken aber solltet ihr, welche Regelungen nötig sind, um zukünftige Konflikte möglichst frühzeitig zu vermeiden. Was sich in der Planungsphase nur positiv anhörte, wird nicht selten im Zusammenleben stressig. Auch Kinderlose und Menschen, deren Kinder längst ausgezogen sind, brauchen (mehr oder weniger) ruhige Rückzugsräume.

Kommunikation, Teilhabe, Entscheidungsprozesse…

Immer wieder zeigt sich: gute Kommunikation ist nicht alles (… aber ohne Kommunikation ist alles nichts). Eine Gemeinschaft lebt von der Kommunikation. Für das Gemeinschaftsleben ist es wichtig, eine gemeinsame Kommunikation aufzubauen. Dazu braucht es Zeiten, Orte und natürlich auch den richtigen Ton. Eine Idee, die das Miteinander routinemäßig verankert, findet ihr in dem Text unter dem Stichwort Freitagscafé.

“Du tust zu wenig!”

Eine Never-ending-Story in Wohnprojekten ist die Frage: was tun meine Mitbewohner*innen (!) für die Gemeinschaft? Wir fragen nicht uns selbst, sondern setzen erst mal bei den anderen an. Aber Achtung: diese Frage kann jede noch so friedliche Hausversammlung sprengen! Natürlich sind Partizipation und Teilhabe ganz wichtige Elemente im Gemeinschaftsleben. Es empfiehlt sich aber hier taktisch vorzugehen und diese Themen möglichst neutral zu besprechen, damit sich keine Mitbewohner*in persönlich angegangen fühlt. Wir haben uns 2018 im Rahmen einer Tagung darüber Gedanken gemacht.

Die Schwerpunkte unserer Überlegungen waren:

  • Partizipation vereinbaren: Können wir Beteiligung verbindlich machen oder soll sie freiwillig bleiben?
  • Über Partizipation streiten: Wie gehen wir mit unterschiedlichem Engagement um?
  • Partizipation lernen: Wie entwickeln wir unser persönliches Engagement?
  • Partizipation pflegen: Wie bauen wir eine Partizipationskultur auf?

Die Ergebnisse sind in einer Dokumentation inklusive Auswertung zusammengestellt.

Wie wollen wir entscheiden?

Ein weiterer wichtiger Punkt im Wohnprojektleben ist die Frage: Wie gestalten wir Entscheidungsprozesse? Jeder soll sich gehört fühlen, niemand soll übergangen werden und trotzdem müssen wir zu einem Ergebnis kommen, das alle mittragen. Diese Frage haben wir  in einem Workshop bearbeitet. Die Arbeitsgruppen befassten sich mit den Themen: Entscheidungsfindung, Diskussionsformen, Moderation, Systemisches Konsensieren. Die Ergebnisse haben wir in einer Fotodokumentation zusammengestellt. Unser Fazit: mit der richtigen Methode können Entscheidungen ganz einfach sein!

Das Wohnprojektleben ist bunt und dementsprechend gibt es noch eine Fülle weiterer Aspekte, die von Zeit zu Zeit immer wieder auftauchen und neu gedacht werden wollen. Unsere „Erfahrungen von A-Z“ geben einen kleinen Überblick:

  • Teilen: Von der Waschmaschine bis zur Zeitung
  • Verwaltung: Ein selbstorganisiertes Wohnprojekt ist oft auch ein selbstverwaltetes Projekt; dazu gibt es diverse Erfahrungen
  • Nebenschauplätze (Waschküche, Treppenhaus, Laubengang) – auch dies sind wichtige Orte der Kommunikation, die das Gemeinschaftliche fördern
  • Garten: Ein flammendes Plädoyer für einen gemeinschaftlichen Garten
  • Kreisgespräch: Es klingt vielleicht banal, ist es aber nicht: eine Gesprächsrunde, in der jede/r zu Wort kommt und keine/r kommentiert.

Der kritische und konstruktive Blick auf die Gemeinschaft

„Und wie geht es eigentlich Fred?“ ist in einem Projekt die gemeinsame Frage am Ende des Blitzlichts, das bei jeder Hausversammlungen üblich ist. „Fred“ ist in diesem Fall das „Wir“, die Gruppe, die Gemeinschaft. Und wenn es Fred nicht gut geht, wenn sich Fred zurückzieht, zeigt dies: Wir müssen was für Fred, für unser WIR tun. Dann heißt vielleicht beim nächsten Haustreffen das (Haupt-) Thema „Wir über uns“. Nun gibt es viele Möglichkeiten, dieses Thema anzupacken – und genauso viele und unterschiedliche Erfahrungen:

Ein Wohnprojekt hat seit Jahren Erfahrungen mit regelmäßigen Supervisionen. Andere Projekte berichten von Thementagen, die spezifische Aspekte des Zusammenwohnens reflektieren – wie zum Beispiel „Entscheidungsfindung/Abstimmungsmodalitäten“, „Konfliktbearbeitung“, „Zuständigkeiten und Regelungen“, „Quartiersarbeit“, „Konzept für Hausversammlungen“ usw.

Zwei lesenswerte Veröffentlichungen, aufgeschrieben von einer Bewohnerin der Bielefelder Beginenhöfe sowie einem Bewohner des Wohnprojekts Heisenbergweg, thematisieren in amüsanter und poetischer Weise die Highlights und Abgründe des alltäglichen Miteinanders in einem Wohnprojekt.

Ihr wollt noch mehr lesen oder auch hören und sehen?

In den letzten Jahren ist ein großer Schatz an Materialien und Angeboten zum Thema Gemeinschaftliches Wohnen entstanden. Wohnprojekte, Netzwerke und Fachorganisationen teilen sehr gerne ihr Wissen, denn alle sind überzeugt von der Idee und wollen, dass Wohnprojekte gelingen!

Eine umfangreiche Zusammenstellung findet ihr z.B. in unserer Sammlung von Materialien bzw. Angeboten.

Stand: Mai 2023