Das Netzwerk im Dialog

2012 und 2016 organisierte das Netzwerk Interviews mit Mitgliedern von Projektgruppen sowie Bewohner:innen von realisierten Projekten. Diese Interviews wurden in den beiden Auflagen der Netzwerk-Broschüre (2012 und 2016) veröffentlicht – und sind u.E. nach wie vor aktuell. Deshalb können sie hier nachgelesen werden.

Interview 2012

Gesprächsleitung: Christoph Weber-Schlauss

Redaktion: Klaus-Dieter Lenzen

Christoph Weber-Schlauss: Ich möchte in dem folgenden Interviewgespräch ein wenig nachfragen. Zunächst einmal möchte ich wissen: Wie kommt es zu solchen Wohnprojekten? Was sind die Antriebskräfte? Welche Motive und Motivationen haben Sie gehabt? Oder, kurz gefragt: Was hat Sie in Bewegung gebracht?

Annedore Hof (stattvilla): Wir sind, zum überwiegenden Teil jedenfalls generations-übergreifende Projekte. Wir erleben ja häufig, wenn wir Interessenten treffen, dass die abwinken und sagen: „Nein danke, das will ich jetzt noch nicht, vielleicht, wenn ich mal älter bin“. Aber das Alter allein ist kein Motiv für uns.

Gerhild Lenzen (Heisenbergweg): Aber meine Entscheidung für das Wohnprojekt war schon bezogen auf das Alter! Zumindest auch bezogen darauf. Ich wollte wohl gerne zusammen leben mit jüngeren Menschen, und die haben wir ja auch in unserem Wohnprojekt. Aber ich selbst bin nun ja schon alt. Und das war auch mein Motiv. Ich habe mich gefragt: Wie soll es für mich im Alter sein?

Jürgen Wefelmeyer (stattVilla): Ich habe schon vor vielen Jahren angefangen mich mit gemeinsamem Wohnen zu beschäftigen. Ich habe dazu gute Freunde befragt, ob sie mitmachen. Ich wollte den Alltag „bunter“ machen, mit Freunden zusammen viel unternehmen, neue Ideen verwirklichen, einander bereichern.

Christoph Weber-Schlauss: Aber wenn das Alter alleine nicht das entscheidende Motiv ist, was ist es dann? Was treibt Sie eigentlich um? Was sind Ihre Motive?

Bruni Scheibe (Pauluscarrée): Ich habe gedacht, wenn ich in einem Wohnprojekt wohne, zwischen jung und alt, dann geht es erst richtig los. Also dann lebe ich anders als ich jetzt lebe, so alleine vor mich hin, in meiner kleinen Wohnung. Das ist auch meine Motivation. Ich habe in meinem Leben immer für mich gesorgt und mich gesellschaftspolitisch engagiert in Bereichen, die meiner eigenen Lebenssituation entsprachen. Das will ich auch in Zukunft tun in einem Wohnprojekt, gemeinsam mit anderen Menschen, so bunt wie möglich. Alle Lebensformen, alle Generationen, Kinder, Menschen unterschiedlicher Berufe, unterschiedlicher ethnischer Herkunft.

Jürgen Wefelmeyer (stattVilla): Wenn du bei uns auf den Parkplatz oder ins Haus herein kommst, dann triffst du immer jemanden, der sagt „hallo“ und „na, wie geht’s“. Aber die nicht zu uns gehören und nur 15 Schritte weiter wohnen, die grüßen kaum, laufen vom Auto kommend durch das Haus in ihre Wohnung und dann war es das. Wenn wir aber draußen sind, um nach einer Blume zu gucken oder sonst was, dann bleiben diese Nachbarn stehen. Sie sprechen uns an und sind froh, dass sie ins Gespräch kommen. Wir leben einfach einen anderen Stil vor.

Annedore Hof (stattVilla): Für mich ist auch der gesellschaftspolitische Aspekt ein ganz ganz wichtiger. Ich finde es problematisch, immer im eigenen Saft zu schmoren und nicht teilen zu können. Weder Dinge wie Werkzeuge oder Geräte, noch Ideen teilen zu können. Deshalb finde ich unsere Wohnform heute außerordentlich wichtig.

Gerhild Lenzen (Heisenbergweg): Mich haben sehr stark die Erfahrungen beeinflusst, die ich mit meinen eigenen Eltern gemacht habe. Sie lebten im Alter allein in dem Haus, das für eine große Familie gebaut war, aber die Kinder waren längst aus dem Haus. Sie lebten dort so weiter, als wäre nichts geschehen. Ich habe mich um meine Eltern viele Jahre lang gekümmert und dabei gelernt: Ich selbst will mein Leben im Alter anders gestalten, lebendiger und geselliger.

Christoph Weber-Schlauss: Wir haben zu Beginn des Gesprächs eine kleine Abfrage zum Thema „Projektzufriedenheit“ gemacht und in Form einer Skala visualisiert. Die Skala zeigt ein erstaunlich hohes Maß von Zufriedenheit an, relativ unabhängig davon, an welcher Stelle des Entwicklungsprozesses sich Ihr Projekt jeweils befindet. Mich würde jetzt interessieren: Wie kommt dieses hohe Maß an Zufriedenheit zu Stande? Was genau löst diese Zufriedenheit aus?

Bruni Scheibe (Pauluscarrée): Mir gefällt sehr gut die Art und Weise, wie wir miteinander arbeiten. Wir treffen uns wöchentlich, außerdem einmal im Monat zu einem Tagestermin. Wir haben gerade am letzten Samstag so eine Tagesveranstaltung gehabt und dabei zum Thema „Organisationsformen“ gearbeitet. Ich bin hellauf begeistert, wie gut das ging. Es ging um die Arbeit in der Gruppe, um Arbeitsformen und Zuständigkeiten. Es gab  dabei keine Konkurrenz, wir sind wohlwollend miteinander umgegangen. Wenn wir es schaffen, das mitzunehmen in die tatsächliche Wohnphase – was kann uns dann noch passieren?

Gerhild Lenzen (Heisenbergweg): Ich freue mich immer, nicht alleine zu sein. Früher habe ich mal in einer Eigentumswohnung gewohnt, in einem Mehrfamilienhaus. Bevor ich zum Briefkasten runtergegangen bin, habe ich immer die Wohnungstür auf gemacht und gehorcht, ob auch niemand im Treppenhaus ist. Es war so eine schlechte Stimmung im Haus! Ich wollte niemanden treffen. Und heute bin ich froh, wenn ich jemanden treffe, wenn Leute vorbeikommen, wenn wir uns verabreden. Auch die Kinder kommen zu Besuch. Neulich zum Beispiel kam Johannes hoch und fragte: „Kannst du morgen mal auf mich aufpassen, meine Mama ist dann nicht da?“ Ist doch großartig: Auch die Kinder nutzen dieses Personenangebot im Wohnprojekt!

Annedore Hof (stattVilla): Unser Umzug war ein absolutes Highlight, wir waren völlig euphorisch, sind durch alle Wohnungen gerannt, obwohl das Haus noch die totale Baustelle war. Jetzt kommt die Phase, in der wir miteinander wohnen, also noch viel mehr Nähe haben. Jetzt müssen wir ganz viele Entscheidungen treffen, da gibt es zum Teil auch heftige Diskussionen. Jede Phase hat offenbar ihre eigene Dynamik.

Bruni Scheibe (Pauluscarrée): Haben unsere Projekte überhaupt ein Ende? Großes Fragezeichen!? Ich glaube und ich wünsche mir, dass wir ständig im Prozess bleiben sowohl persönlich als auch gemeinsam mit dem Projekt. Wenn sich Menschen zusammen finden, die alle offen sind für so einen Prozess, dann ist die Chance, dass es gut gelingt, relativ hoch.

Christoph Weber-Schlauss: Meine dritte und letzte Frage ist auf die Zukunft gerichtet. Mich interessiert, was Sie sich für die Zukunft wünschen. Was wollen Sie in Zukunft erreichen, wenn sie als Wohnprojekte kooperativ bzw. „vernetzt“ zusammenarbeiten?

Jürgen Wefelmeyer (stattVilla): Also die Frage habe ich mir überhaupt noch nicht gestellt, die spielt mehr auf der intellektuellen Ebene. Für mich ist erst einmal eine emotionale Zufriedenheit wichtig, bevor ich mich da auf ganz andere, neue Abenteuer einlasse. Ich weiß noch nicht, in welche Richtung das läuft, was da auf mich zukommen würde. Ich muss erst mal das eigene Haus fertig kriegen und drin stehen.

Annedore Hof (stattVilla): Das läuft für mich parallel! Natürlich geht es auf der einen Seite auch um das eigene Haus! Aber für mich ist auf der anderen Seite die Vernetzung der Wohnprojekte etwas ganz Wichtiges. Ich erhoffe mir davon eine deutlichere Präsenz und eine bessere Akzeptanz in der Stadt.

Bruni Scheibe (Pauluscarrée): Und darüber hinaus können wir sicherlich auch Leute, die sich auf die Suche machen, ermutigen, ein neues Projekt anzufangen.

Interview 2016

Gesprächsleitung: Christoph Weber-Schlauss

Redaktion: Klaus-Dieter Lenzen

Christoph Weber-Schlauss: Ihr vertretet Projekte, die sich in verschiedenen Phasen befinden. Entwickeln sie sich alle mit einer ähnlichen Intention  – oder gibt es Unterschiede?

Jürgen Wefelmeyer (stattVilla): Also ich bin zum Beispiel erstaunt darüber, dass eine Initiative heute sowohl Eigentümer, Sozialhilfe- Empfänger und frei zu finanzierende Wohnungen in ihr Haus bekommt. Diese Hürde zu nehmen hat uns vor sechs oder sieben Jahren noch große Schwierigkeiten bereitet.

Ines Olders (QuartierOst): In der Wohnprojekte-Szene ist alles vielfältiger geworden. Früher war das „Mehrgenerationenhaus“ das ganz große Thema. Heute haben wir zum Beispiel auch die Gruppe „Herbstzeitlose“ dabei. Diese Gruppe thematisiert die Alters- und Pflegesituation. Oder die Gruppe „Wohnen im Bestand“.

Bärbel Brinkhoff (Beginenhöfe): Alle Wohnprojektmitglieder eint, dass wir eine ähnliche Motivation haben. Wir wollen etwas Neues beginnen, etwas Anderes machen als vielleicht die Generation vor uns. Die Umsetzung dieses Impulses verläuft allerdings auf verschiedenen Wegen.

Tatjana Gefele (Herbstzeitlose): Aber die Motivationen ändern sich auch. Wir wollen zum Beispiel nicht nur nett und nachbarschaftlich zusammen leben. Wir kämpfen auch ums Überleben. Wir sind eine Zweckgemeinschaft.

Christoph Weber- Schlauss: Was heißt das: „Kampf ums Überleben“?

Tatjana Gefele (Herbstzeitlose): Zur Zeit erhalten 72 % der Rentenberechtigten eine Rente unter 1.000 € im Monat. Und die machen sich natürlich Gedanken. Im Pflegefall werden wir zum Sozialfall. Wir werden zur Last für unsere Kinder und für unser Land. Wie können wir unseren Lebensabend würdig gestalten? Das fragen wir uns in unserem Projekt.

Julia Meinert (Pauluscarrée): Und trotzdem ist der gemeinsame Nenner auch hier die Gemeinschaft!

Hannes Menge (Wohnprojekt5): …was immer Gemeinschaft heißt. Ich glaube es ist schwierig, sich darüber zu verständigen, was gemeinschaftliches Leben sein soll.

Bärbel Brinkhoff (Beginenhöfe): Vielleicht ist es die Vorstellung, dass ich in irgendeiner Form einen Gewinn davon habe, wenn ich gemeinschaftlich lebe. Es ist vermutlich besser als allein zu wohnen!

Ines Olders (Quartier Ost): Der Gemeinschaftsgedanke verändert sich ja auch von der ersten Idee über die Phase des Bauens und Planens bis hin zur Phase des Wohnens. Ein spannendes Thema: Welche Entwicklungen nehmen eigentlich solche Gemeinschaften im Lauf der Zeit? Ich denke: Gemeinschaft, das ist eigentlich ein Arbeitsbegriff.

Christoph Weber-Schlauss: Haben alle Wohnprojekte das Ziel generationen-übergreifend zu wohnen?

Jürgen Wefelmeyer (stattVilla): Menschen unter 30, die brauchen die Gemeinschaft noch nicht so sehr. Die sind voller Ideen, wie sie ihr Leben individuell gestalten wollen, die fühlen sich in einer Gemeinschaft wie wir sie uns vorstellen noch gar nicht zu Hause.

Hannes Menge (Wohnprojekt5): Sicher, es ist schwieriger, jüngere Familien hereinzuholen – aber sie kommen!

Julia Meinert (Pauluscarreé): Ich habe gemerkt: Diese Art zu wohnen ist bei Leuten um die 30 Jahre – das ist mein Alter- nicht sehr bekannt. Ich bin die erste in meinem ganzen Freundes- und Bekanntenkreis, die sich überhaupt mit Wohnprojekten auseinandergesetzt hat. Wir müssen da noch viel stärker nach außen gehen!

Elisabeth Sprissler-Thiemann (Stiftsfreiheit): Wir haben auch als Mehrgenerationenprojekt begonnen und es war immer die Idee, Leute mittleren Alters, auch Familien mit einzubinden. Das ist uns bis heute nicht gelungen. Wir haben inzwischen etwas Abstand genommen von diesem Ziel. Wir wollten nicht auf Teufel komm raus eine Regelung treffen wie z.B. „Wir starten nur, wenn wir so und so viele Menschen eines bestimmten Alters haben“.

Hannes Menge (Wohnprojekt5): Eine junge Familie mit Kindern hat in der Regel andere Sorgen. Die müssen sich um die Kinder kümmern, die haben nicht so eine lange Perspektive. Bei uns waren sie in der Gründungsphase noch nicht dabei. Sie kommen jetzt, wo es um den Endspurt geht.

Elisabeth Sprissler-Thiemann (Stiftsfreiheit): Die Jüngeren, die zu uns kamen, waren irritiert. „Wenn wir die einzigen in diesem Alter sind, dann haben wir eigentlich kein Interesse mehr“. Und es kamen immer einzelne junge Leute als Interessenten. Wir wissen auch, ehrlich gesagt, nicht, ob das Mehrgenerationenprojekt jetzt noch unser Ziel ist.

Hans Albers (Quartier Ost): Das ist ja auch ein finanzielles Problem, gerade für die jungen Leute! Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum. Gemeinschaftlich Wohnen, das ist nicht billig, zumindest dann nicht, wenn ein neues Gebäude gebaut oder ein bestehendes umgebaut werden soll.

Bärbel Brinkhoff (Beginen): Wir haben ja vor allem alleinerziehende Mütter gesucht, auch die sind erst kurz vor dem Einzug gekommen. Gerade Mütter mit kleinen Kindern, die sind erst mal darauf orientiert, wo ist die nächste Schule, wo ist der nächste Kindergarten? Erst als fest stand, wo wir unseren Bauplatz haben, da ging es los.

Christoph Weber-Schlauss: Ich würde jetzt gerne auf die konzeptuellen Unterschiede zwischen den Initiativen und auf ihre Gemeinsamkeiten eingehen. Wie werden Dinge angegangen, welche Regelungen bestehen? Gibt es da große Unterschiede oder bewegt ihr euch in ähnlichen settings?

Ines Olders (Quartier Ost): Ich will das mal an einem Beispiel sagen: Als ich in das Netzwerk herein kam, schien mir die Gruppe der Wohnprojekte sehr homogen. Es waren Mehrgenerationenprojekte, alle ziemlich ähnlich. Dann aber kamen scheinbar nebensächliche Fragen auf wie: „Sag mal, wie finden bei euch eigentlich Entscheidungen statt?“ Und da stellte sich dann heraus: Jedes Wohnprojekt agiert unterschiedlich. Ich glaube, die Gemeinschaft folgt konkret sehr unterschiedlichen Regelungen.

Christoph Weber-Schlauss: Wir können ja bei diesem Beispiel bleiben. Wie sieht es denn aus? Wie werden bei euch Entscheidungen herbeigeführt?

Julia Meinert (Pauluscarée): Bei uns läuft es momentan in Plenen über Konsens, nur in sehr wenigen Ausnahmen über Mehrheitsentscheidungen. Es gibt Protokolle, man kann die Diskussionen also auch nachlesen. Jeder kann auch eine Woche später noch Einspruch erheben. Wir arbeiten daran, Diskussionen stärker einzugrenzen und versuchen sie neu zu strukturieren. Dazu gibt es eine Arbeitsgruppe. Generell aber sind alle irgendwie beteiligt.

Hans Albers (Quartier Ost): Wir sind ja in der Planungsphase, also noch relativ am Anfang. Wir treffen uns alle vierzehn Tage zum Plenum und haben sehr viel Zeit gebraucht, um eine Rechtsform zu finden. Wir möchten gerne dem Konsensprinzip folgen, also die wichtigen Kernfragen möglichst in Übereinstimmung angehen. Und wenn es da ein Veto gibt, das erfordert natürlich die ein oder andere Diskussion mehr.

Tatjana Gefele (Herbstzeitlose): Bei uns ist es momentan relativ einfach geregelt. Bei uns gibt es eine „Gründungsgruppe“. Die trifft die wichtigsten Entscheidungen und spricht sie mit den anderen ab.

Ines Olders (Quartier Ost): Entscheidungsprozesse wechseln sehr stark, abhängig auch davon, wie die Gruppe sich zusammensetzt.

Jürgen Wefelmeyer (stattVilla): Das Verständnis läuft anders, wenn man schon so lange zusammen wohnt wie wir. Und die Unterschiede sind nicht mehr so groß, weil man sich im Alltag auch außerhalb der Regularien trifft und vieles schon klären kann.

Dieter Lenzen (Heisenbergweg): Ich gehöre auch zu der Generation, die immer alles „ausdiskutieren“ musste. Es gibt andere Leute, die müssen das nicht. Manchmal geht es viel effektiver mit kleinen Gruppen. Drei oder vier Leute haben schon lange über ein Problem nachgedacht, sie machen einen guten Vorschlag und sagen: „Bitte hört uns erst einmal zu, bevor ihr anfangt ‚auszudiskutieren’ “.

Julia Meinert (Pauluscarée): Ja, mehr in Kleingruppen arbeiten, das ist auch unser Ansatz.

Hannes Menge (Wohnprojekt5): Diese vielen Sitzungen, das ist Arbeit. Lustvoll finde ich es, wenn wir spazieren gehen oder irgendwas Nettes machen. Das ist ja das Schöne an Wohnprojekten, dass man Beides haben kann, sowohl die Arbeit als auch das Vergnügen.

Jürgen Wefelmeyer (stattVilla): Vier mal im Monat machen wir Dinge gemeinsam. Einmal sind es nur Formalien: Kommen wir mit dem Vermieter klar, steigt die Miete usw.? Wenn Formalien geregelt werden, dann gibt es Arbeit und die muss auch erledigt werden. Zu den anderen Treffen werden Vorschläge gemacht, da wird erzählt, da wird Kaffee getrunken oder ein Bier, das ist ganz locker. Und da gibt es auch den Spaziergang, die Fahrradtour, das gemeinsame Essen. Das bringt Unterschiede wieder zusammen.

Christoph Weber-Schlauss: Ist der Alltag der Projekte unterschiedlich? Wenn ich zum Beispiel in den Beginen-Hof ginge, würde ich da etwas anderes erleben als zum Beispiel im Heisenbergweg?

Bärbel Brinkhoff (Beginen): Um aus dem Alltagsleben zu berichten: Es gibt bei uns Zusammenkünfte, in denen es eher um die Selbstverwaltung geht und es gibt Zusammenkünfte, wo es um ein soziales oder emotionales Miteinander geht. Es gibt Feiern, bei denen wir alle gemeinsam etwas machen und es gibt im Kleinen zum Beispiel die zwei Frauen, die zusammen meditieren oder die vier Frauen, die zusammen kochen oder die fünf Frauen, die zusammen ins Kino gehen. Es gibt also unterschiedliche Interaktionen. In diesem Punkt glaube ich, unterscheiden wir uns nicht. In den Inhalten vielleicht, aber nicht in der Struktur.

Dieter Lenzen (Heisenbergweg): Bei uns gibt es keine internen Koch- und keine Meditations-gruppen. Ich finde schon, dass die Projekte strukturelle Gemeinsamkeiten haben, aber sie entfalten jeweils ihr eigenes Repertoire, ihr eigenes Programm. Es ist erstaunlich viel, was in der Kultur der Wohnprojekte zum Blühen kommt. Da können wir voneinander lernen.

Ines Olders (Quartier Ost): Ich habe das Gefühl, dass sich so etwas wie ein „Repertoire“ erst mit den Jahren in den Projekten herauskristallisiert … und dass man ganz viel dafür tun muss, dass dies auch bestehen bleibt und erweitert wird.

Jürgen Wefelsmeyer (stattVilla): Bei uns gibt es keinen, der sagt „ich habe Langeweile, bespaßt mich mal!“ Ich vermute, dass das in den anderen Initiativen auch so ist. Jeder kann seine Ideen in die Gemeinschaft einbringen, auch wenn sie nicht gleich angenommen werden. Das ist sehr, sehr schön und das macht das Ganze auch lebendig.

Julia Meinert Pauluscarrée): Wir haben unterschiedliche Menschen in unserem Projekt. Einige von ihnen sind eher zurückgezogen und beteiligen sich weniger. Das wird akzeptiert. Und das finde ich auch das Schöne: Es ist alles freiwillig! Man kann aber mit jeder Idee zu jeder Zeit landen. Ich glaube, das Wichtigste ist einfach, dass die Leute, die Lust auf Gemeinschaft und Gesellschaft haben, ihre Ideen auch einbringen können.

Christoph Weber-Schlauss: Gibt es in den jüngsten Gründungen, in jüngster Zeit eigentlich noch ganz besondere, zündende Ideen? Ideen, von denen andere sagen, Mensch, das ist für uns ganz wichtig?

Bärbel Brinkhoff (Beginenhöfe): Unsere Wohnungsbaugeschichte nimmt aktuell eine aufregende Wendung! Vor Jahren waren die großen Wohnungsbaugesellschaften in Bielefeld noch sehr zurückhaltend. Das hat sich eindeutig geändert! Die sind auf den Zug aufgesprungen und haben in den letzten fünf, sechs, sieben Jahren mehr Interesse daran entwickelt, mit uns in Kooperation zu gehen.

Dieter Lenzen (Heisenbergweg): In der Programmatik war zum Beispiel die Freie Scholle den Ideen freier Wohnprojekte schon vor Jahren sehr nahe. Und trotzdem gab es keine Kooperationen, weil die Gesellschaften das nicht wollten. Die haben uns für Spinner gehalten. Das hat sich total verändert, zum Glück!

Ines Olders (Quartier Ost):…auch weil sich viele gesellschaftliche Probleme so verschärft haben, dass man den Bereich des Wohnens stärker in den Blick nimmt. Stichwort „Migration“, die Flüchtlingskrise, aber auch die Arm-und-Reich- Schere, die sich in unserer Gesellschaft aufgetan hat. Oder die Verdichtung des Wohnens in der Stadt. Plötzlich haben die Städte Interesse daran, die Quartiere nicht einfach zusammen zu klopfen. Plötzlich werden mehr Mischverhältnisse gewünscht. Wir sind gefragt worden, ob wir in das Quartier, in dem wir bauen, auch aktiv reingehen, ob wir es mitgestalten wollen. Das war ein ganz wichtiger Punkt für die Genossenschaft.

Hannes Menge (Wohnprojekt5): Bei uns im Projekt gibt es Leute, die sagen, das ist uns ganz wichtig. Und andere sagen: Das ist mir eigentlich zu viel. Ich bin ein Vertreter, der will rein ins Quartier. Deswegen finde ich das toll, dass ihr von der Freien Scholle gefragt worden seid.

Julia Meinert (Pauluscarrée): Unser Pauluscarrée war auch nicht unbedingt ein attraktives Viertel. Mit immer mehr Projekten, die bunt gemischt da hingegangen sind, ist es aber besser geworden. Das strahlt natürlich nach Außen ab. Nur so kann man solchen Stadtproblemen auch entgegentreten.

Christoph Weber-Schlauss: Gibt es eigentlich Kooperationszusammenhänge unter den Projekten? Sind das eher zufällige, durch Personen getragene Kontakte oder sind die dauerhaft?

Ines Olders (Quartier Ost): Die für Bielefeld typischste Kooperationsform ist das Netzwerk. Das ist die Institutionalisierung unserer Kooperation in Bielefeld.

Christoph Weber-Schlauss: Und wie sieht das genauer aus?

Ines Olders (Quartier Ost): Das Netzwerk besteht schon seit 2010, also schon relativ lange. Es war eigentlich erst einmal sehr klein, variierte zwischen vier und sechs Wohnprojekten, die sehr eng miteinander arbeiten konnten. Seit ein bis zwei Jahren ist das Netzwerk deutlich expandiert. Wir freuen uns darüber unglaublich, weil auf diese Weise viel Dynamik rein kommt.

Tatjana Gefele (Herbstzeitlose): Gerade für ein junges Projekt ist es sehr hilfreich, den Kontakt zum Netzwerk zu knüpfen und an Gesprächen teilzunehmen. Man muss natürlich auch eigenständig arbeiten, aber viele Sachen, die schon gelaufen sind, die kann man nachfragen. Das spart Zeit.

Dieter Lenzen (Heisenbergweg): Genau das ist die Idee des Netzwerks gewesen. Der Transport von Ideen und Erfahrungen sichert unseren Zusammenhalt!

Johannes Menge (Wohnprojekt5): Normaler Weise treffen sich in unserem Projekt ja immer die gleichen Personen. Unsere Mitglieder sind richtig froh mal zu hören, wie es den anderen Wohnprojekten so geht. Wie haben die dies und jenes gemacht?

Ines Olders (Quartier Ost): Das Netzwerk beschleunigt, das kannst du an Zahlen ablesen. Die Zeiten von der ersten Idee bis zum Spatenstich und dann bis zum Einziehen verkürzen sich immer mehr.

Julia Meinert (Pauluscarrée): Unsere Mitbewohnerinnen betonen immer, dass es gar nicht einmal darum geht, die Konzepte zu kopieren, sondern einfach darum, verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, um dann das Eigene daraus zu bauen.

Bärbel Brinkhoff (Beginenhöfe): Ich finde diese Vernetzung gut, weil ich Entwicklungs-geschichte erfahre. Alle Projekte haben eine Geschichte. Was ist, wenn die ersten Macherinnen sich zurückziehen? Was ist nach der Freude über den gelungenen Einzug, was folgt dann? Nicht immer auf sich selbst zurück geworfen zu sein, ein bisschen auch auf Distanz zu gehen und anderen zuhören können, das gehört dazu. Insofern finde ich Vernetzung immer gut.

Christoph Weber-Schlauss: Ich stelle die Frage jetzt einmal anders herum: Gibt es eigentlich auch Formen von Konkurrenz untereinander?

Johannes Menge (Wohnprojekt5): Hahnenkämpfe innerhalb eines Projekts, also zwischen Männern, die gibt es wohl. Insofern gibt es auch Konkurrenzen untereinander. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass es Konkurrenzen zwischen den einzelnen Projekten gibt.

Christoph Weber-Schlauss: Es wird demnächst wieder eine Tagung der Bielefelder Wohnprojekte geben. Welche Themen werden diesmal im Vordergrund stehen?

Ines Olders (Quartier Ost): Diesmal ist es eine interne Tagung. Wir haben uns auf das Oberthema „Kommunikation intern“ geeinigt. Damit die Wohnprojekte, die jetzt ja deutlich mehr geworden sind, sich besser kennenlernen und die Kommunikation untereinander verstärken können. Wir haben Fragestellungen entwickelt und hoffen, dass die Leute dazu ins Gespräch kommen: Wie kommuniziert man am Anfang eines Projekts, wie entwickelt sich das weiter, welche Entwicklungsphasen hat so ein Projekt? Oder…

Dieter Lenzen (Heisenbergweg): …wie finden Personenwechsel statt, wie werden sie erlebt? Wie gehen wir mit Streitigkeiten um?

Jürgen Wefelmeyer (stattVilla): Was hängt von den Persönlichkeiten ab, die im Wohnprojekt aufeinander treffen?

Dieter Lenzen (Heisenbergweg): Was gewinnen wir, wenn wir jemanden einladen, der bei Konflikten moderiert? Welche Formen haben wir für Gespräche gefunden? Welche Abstimmungsregeln gelten bei uns?

Jürgen Wefelmeyer (stattVilla): Mich verfolgt die Frage: Wird der Alltag in den bestehenden Wohnprojekten heute anders bewältigt also vorher?

Bärbel Brinkhoff (Beginenhöfe): „Freiheit und Pflicht“, das ist bei uns immer ein großes Thema. Was ist an Freiheit möglich, aber was gibt es auch an Pflichten, an Dingen, die einfach getan werden müssen?

Ines Olders (Quartier Ost): Wir sagen ja immer so ganz moderat: Jeder bringt das ein, was er einbringen kann. Und dann sagt einer: „Ich will jetzt keine Treppe putzen.“ Hat die Freiheit auch eine Grenze?

Dieter Lenzen (Heisenbergweg): Ja, auch um solche alltäglichen Fragen wird es bei diesem Projekttag gehen. Aber ich glaube, wir brechen hier mal ab, bevor wir in eine neue Diskussion geraten.

Hannes Menge (Wohnprojekt5): Ich fand das ein schönes Gespräch, schön, euch hier mal so wahrgenommen zu haben, auch Leute, die ich noch gar nicht kannte. Dankeschön!

Christoph Weber-Schlauss: Auch von meiner Seite natürlich herzlichen Dank! Für mich war es interessant und einfach auch nett. Ich wünsche euch und den Projekten, die ihr vertretet, alles Gute für die nächsten Jahre.