Schneeschieben

12.02.2021 aus dem Wohnprojekt Heisenbergweg

Am besten entwickelt man schon im Sommer einen genauen Plan aus dem hervorgeht, wer im Winter im Prinzip wann dran ist. Mit Schneeschieben. Jetzt mal unabhängig davon, ob wirklich Schnee fallen wird oder nicht. Damit man, wenn der Schnee dann plötzlich fällt, nicht so aus allen Wolken fällt wie der Schnee selbst.

Das hatten wir weitsichtig auch so geregelt: Es gab auf Papier aufgezeichnet einen tabellarischen, sozusagen einen gefrorenen Dienstplan, der im Fall von Winter nur hätte aufgetaut werden müssen.

Eines Tages schneit es tatsächlich. Schlagartig versammeln wir uns draußen mit Besen und Schiebern bewaffnet, ohne dass einer von uns den Winterdienstplan auch nur eines Blickes gewürdigt hätte.

Wie das? Wollen jetzt plötzlich alle mal Schnee schieben? Jedenfalls fällt aus dem grauen Himmel der Schnee – und mit ihm kippt der Plan.

Jetzt fegt und schiebt immer, wer gerade Zeit und Lust hat. Das klappt ausgezeichnet, schon mehrere Kälteeinbrüche lang.

An Wintermorgen rutschen wir auf dem Eis herum, werfen Schneebälle, kratzen Windschutzscheiben frei und genießen es, dass wir noch die Kraft haben, den Schnee eigenhändig zu gewaltigen Schneemauern aufzutürmen. Auf Besen gestützt führen wir in der Kälte warme Gespräche. Weiße Sprechfahnen wehen nebelig vor unseren Mündern. Wir reden über dies und das. Unter anderem über einen Winterdienstplan, ausgedacht damals im Sommer.

Geschichte von Dieter Lenzen (Wohnprojekt Heisenbergweg), aus: Dieter Lenzen, Von Tür zu Tür. Im Wohnprojekt unterwegs – 55 Geschichten und ein Briefwechsel, Bergmann Verlag 2016
Zeichnung/Collage 26 x 18 cm, 2018, Marie-Pascale Gräbener, www.pascale-graebener.de (veröffentlicht in o.g. Buch, darin auch 11 weitere Zeichnungen/Collagen)